Chiaroscuro

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Das Helldunkel im alten Holzschnitt

Im Juli 1516 ersucht der Holzschneider Ugo da Carpi die venezianische Signoria um den urheberrechtlichen Schutz einer »neuen Art, hell und dunkel zu drucken« (modo nuovo di stampare chiaro e securo). Er preist sie als »eine schöne Sache, nützlich vielen, die an Zeichnun­gen Vergnügen haben.« Inden kunsttechnischen Aus­führungen, die später Vasari seinen Lebensbeschrei­bungen der Künstler (Le Vite, Florenz 1550) voran­stellt, präzisiert er dieses »Vergnügen« und spricht explizit von Holzschnitten, »die gezeichnet scheinen.«

Gemeint ist die Ähnlichkeit dieser Drucke mit jener Art von Zeichnungen, die Vasari 'Hell-Dunkel'-Zeich­nungen nennt (disegni di chiaro e scuro). Diese werden ausgeführt auf farbig getöntem Papier, welches den Halbton der Zeichnung bildet. Mit der Tintenfeder wird zunächst die Kontur gezeichnet und diese dann mit verdünnter Tinte als Lavierung mit dem Pinsel schattiert; zuletzt werden mit feinem Pinsel und deckendem Bleiweiss die Weisshöhungen aufgesetzt.

Der Chiaroscuro-Schnitt zielte auf die adäquate und günstige Umsetzung und Vervielfältigung solcher Zeichnungen, die ebenso von Künstlern als Formen­repertoire wie von Sammlern als Reproduktion und um ihres eigenen Wertes willen geschätzt wurden. Besteht der gewöhnliche Holzschnitt allein aus einer schwarz druckenden Platte, die Umrisse und Schraffu­ren in Linien wiedergibt, so vermag der Chiaroscuro­ Schnitt nicht nur Fläche und Plastizität durch eine oder mehrere Tonplatten hinzuzufügen, in denen der Effekt von Weisshöhungen durch das Freilassen des hellen Papiers erzielt wird, sondern er reduziert bei Ausschöpfung seiner Möglichkeiten die Schwarzplatte auf die Wiedergabe von Schattenpartien. Um Überschneidungen zu vermeiden, muss jede Druck­platte exakt auf die andere abgestimmt werden, und für jede Platte ist ein separater Druckvorgang nötig. Das künstlerische Potenzial dieses Verfahrens zeigt ein Vergleich von Lucas Cranachs HL. CHRISTOPHORUS, hier in Drucken ohne und mit Tonplatte gezeigt, mit Ugo da Carpis wohl berühmtesten Blatt, dem DIOGE­NES. Cranachs Blatt entstand zunächst als gewöhnli­cher Linienholzschnitt, dem die Tonplatte wenig Tiefe hinzugeben kann, da Carpi hingegen löst den Bildgegenstand virtuos in eine Folge von plastisch wirken­ den Tonwerten auf.