Hautnah

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Die Abformung des Lebens im 19 Jahrhundert

Auf Adolph Menzels Gemälde Atelierwand sind sie versammelt: einzelne in Gips abgeformte Körperteile, Masken, Torsi, ein Arm. Das Hamburger Bild ist der Ausgangspunkt einer vom Musée d’ Orsay in Paris erdachten Ausstellung. Es weist auf eine im 19. Jahrhundert besonders in Bildhauerateliers weit verbreitete Technik, den Abguss nach der lebenden Natur. Die ausgestellten Gipsabformungen geben zum ersten Mal einen Einblick in die Bandbreite der lange unterschätzten Technik, die sowohl im privaten Bereich - im Künstleratelier - wie auch im öffentlichen Leben - in wissenschaftlichen Sammlungen - im 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle spielte.
Äußerst naturgetreu ist die Wiedergabe der Formen, die als historische Dokumente oder liebevolle Zeugnisse in Gips reproduziert wurden. Es ist diese unmittelbare Nähe zur Natur, die in der Geschichte der europäischen Skulptur eine heftige Polemik provozierte: so lag der Skandal, der um eine von Rodins Figuren entbrannte in dem – ungerechtfertigten - Vorwurf begründet, Rodin hätte seine Kunstform lediglich vom lebenden Modell abgegossen. Der Gipsabguss vereint das Streben nach der angemessenen Wiedergabe und Aneignung des menschlichen Körpers mit einer Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen. Seine irritierende Nähe zur Realität nimmt surrealistische Wahrnehmungsweisen vorweg und stellt die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Abbild. In dem kreideweißen, toten Material zeigen sich die Spuren einer lebendigen Wirklichkeit – hautnah.
Die Ausstellung, die etwa 100 Exponate präsentiert, ist in folgende Kapitel unterteilt:'
1. Lebend- und Totenmasken
2. Fetische: Berühmte Hände, Beine, Füße
3. Körperfragmente aus dem Atelier des Künstlers
4. Wissenschaftliche Gipsabgüsse aus der Völkerkunde, Archäologie, Botanik, Zoologie und Medizin
Es erschien ein Katalog für 8,80 € .
Stationen der Ausstellung:
Paris, Musée d’ Orsay, 29. Oktober 2001 – 28. Januar 2002
Leeds, Henry Moore Institut, 16. Februar – 19. Mai 2002
Ligornetto, Museum Vela, 28. September – 15. November 2002